Einstieg
Graffiti sind Bestandteil menschlicher Kommunikation seit Beginn unserer Kulturgeschichte. Sie sind anarchische, überwiegend ichbezogene, grafische Botschaften. Durch ihr anarchisches Wesen positioniert sich die Kommunikationsform Graffiti jenseits der etablierten gesellschaftlichen Normen. Als jahrtausendaltes kulturelles Phänomen wandeln Graffiti mit dem Zeitgeist kontrovers zwischen Kriminalisierung, Duldung und Unterstützung; Ablehnung, Ignoranz und Bewunderung. Damit polarisieren sie die Gesellschaft wie kaum eine andere kulturelle Erscheinung.
Graffiti als Kommunikation unter Umgehung der etablierten Ordnung sind immer auch Indikatoren für den Zustand des gegenwärtigen gesellschaftlichen Systems. Auch deshalb riefen die unautorisierten Botschaften zu allen Zeiten den Argwohn der Herrschenden hervor.
Bis zurück in die Antike lassen sich Bemühungen der Obrigkeit nachweisen, die unerwünschten Zeichen an den Wänden zu bekämpfen. Im Zuge der Verbreitung von American Graffiti versuchten Stadtverwaltungen auf der ganzen Welt – und versuchen es teilweise heute noch – den Erstellern der Tags, Pieces und Characters mit einer kompromisslosen Null-Toleranz-Politik das Handwerk zu legen. Doch die Bekämpfung von Graffiti rief umso mehr Trotz und Widerstand unter den Akteuren hervor. Auch Teile der etablierten Kunst bemühten sich um Annäherung an die Graffitiszene und findige Geschäftsleute begannen mit der Vermarktung von Graffiti als Modeerscheinung. Dies erkennend, änderten manche Behörden und Verwaltungen ihre Taktik und setzten zunehmend auf Annäherung bis hin zu plumper Anbiederung. Durch staatliche Förderung von Graffiti als singuläre Kunstform mittels Interessenvertretungen, Ausstellungen, Kursen und legalen Wänden hofften sie, die anarchischen Botschaften in die etablierte Ordnung integrieren und vereinnahmen zu können.
Doch die gesetzlosen Zeichen widersetzten sich mehrheitlich ihrer Bekämpfung, verweigerten die Assimilation, behaupteten ihr herrschaftsfreies Wesen und ließen sich nicht in das Korsett der von außen vorgegebenen rechtlichen, moralischen und auch künstlerisch-kulturellen Normen einschnüren. Die unautorisiert bemalte Wand war, ist und bleibt auf absehbare Zeit der originäre Lebensraum von Graffiti. Alle bisherigen Ansätze des Umgangs mit der anarchischen Kommunikationsform Graffiti, die auf kompromisslose Bekämpfung oder unreflektierte Förderung abstützten, haben sich als wenig erfolgreich und nicht nachhaltig erwiesen, weil sie schlichtweg das Wesen des Phänomens unberücksichtigt lassen.
Der Beitrag der etablierten Wissenschaft zur Überwindung dieses Dilemmas ist bisher eher marginal: Außer kunst-, sprach- und sonstigen kulturwissenschaftlichen Deutungen von Graffiti ist von dort nichts Nennenswertes zu vernehmen. Integrative interdisziplinäre Ansätze über die Kulturwissenschaften hinaus sind nicht vorhanden. Obwohl Teile der Intelligenzija – auf der Suche nach neuen Inspirationen – die kultig-anrüchige Aura von Graffiti für sich entdecken und sich auf (nichtautorisierten) Banksy-Ausstellungen die Klinke in die Hand geben, bleibt die Graffitiforschung ein Schmuddelkind der Wissenschaft.
Es ist an der Zeit, das jahrtausendalte, komplexe gesellschaftlich-kulturelle Phänomen Graffiti tiefgründig und neutral auszuloten und die Graffitiforschung durch integrative interdisziplinäre Ansätze unter Einbeziehung sozialpsychologischer, sozioökonomischer und weiterer relevanten Disziplinen zu beleben. Auch geht es darum, erfolgversprechende Wege des nachhaltigen und befriedenden Umgangs mit Graffiti aufzuzeigen.
Als Deutscher Verein für Graffitiforschung verfolgen wir vorrangig folgende Ziele:
- Förderung der integrativen interdisziplinären Graffitiforschung;
- Wissenschaftliche Aufarbeitung und Bewahrung kulturell und künstlerisch wertvoller historischer und kontemporärer Graffiti;
- Umfassende, tiefgründige und neutrale Information über Geschichte, Wesen, Ursachen, Motivation und Inhalte von Graffiti;
- Beratung und Entwicklung von Konzeptionen zum Umgang mit Graffiti.
Als institutionell ungebundene Körperschaft bewahren wir jenseits von Ablehnung oder Befürwortung von Graffiti stets eine angemessene Neutralität. Damit verfügen wir über ein Alleinstellungsmerkmal in der gesamten deutschen Forschungslandschaft.
Als Einstieg in die Thematik bieten wir Informationsgespräche und Vorträge an, die für Bildungseinrichtungen, Akteure in Verwaltung, Politik und Wirtschaft, Medien, Interessenvertretungen und sonstige Interessenten geeignet sind.
Auf unserem Graffiti-Wissen-Wiki finden Sie fundierte und tiefgründige Informationen über das gesellschaftliche Phänomen Graffiti.